Vor dem Hintergrund steigender Asylantragszahlen – auch, aber bei Weitem nicht nur, durch afghanische Ortskräfte – zeichnet sich ein höherer Bedarf an Beratung und Begleitung geflüchteter Menschen in Brandenburg ab. Entgegen diesem deutlichen Trend werden im nun vorgelegten Haushalt für das Jahr 2022 die Ausgaben für zwei zentrale Instrumente zur Förderung der Integration im Land um knapp 75 % reduziert.
Aus Sicht der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege ist dies nicht nachvollziehbar, hierdurch wird der langwierige Aufbau von wirksamen Strukturen zunichte gemacht. Das Ankommen der zuziehenden Menschen, darunter aktuell sehr viele Familien mit Kindern, sowie die nachhaltige Integration tausender Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte und schlussendlich der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt werden leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Mittel für Migrationssozialarbeit II radikal gekürzt
Die erstmals im Haushalt 2018 eingeplanten Mittel für die sogenannte Migrationssozialarbeit II (MSA II) ermöglichten es den Landkreisen und kreisfreien Städten seitdem auf die speziellen Bedarfe bleibeberechtigter Geflüchteter, den sogenannten Rechtskreiswechsler*innen, zu reagieren und vor Ort spezifische Angebote z. B. in der Beratung, der Gemeinwesenarbeit oder aber in der Jugendarbeit an Schulen sowie in Frauenhäusern zu etablieren.
Im Haushalt 2021 sind hierfür 14,5 Mio. Euro eingeplant, dass entspricht circa 200 Vollzeitstellen (Vollzeitäquivalent, VZÄ) für die Landkreise und kreisfreien Städte. Das Kabinett plant für die MSA II im Haushalt 2022 nur noch circa 9 Mio. Euro ein, das entspricht einer Kürzung von knapp 38 % oder in Personalstellen ausgedrückt einer Reduzierung um 75 VZÄ, auf zukünftig insgesamt lediglich 125 VZÄ. Dies ist ein schwerer Schlag für die Integration geflüchteter Menschen in Brandenburg.
Migrationssozialarbeit II muss langfristig und in vollem Umfang erhalten bleiben
Infolgedessen sollen die Rechtskreiswechsler*innen zukünftig nur noch zwei, anstatt wie bisher drei Jahre durch zielgruppenspezifische Migrationssozialarbeit begleitet und bei der Integration unterstützt werden. Ein Umstand, der nach Meinung der LIGA-Mitglieder die Integration aller seit 2019 in den SGB-II-Bezug gewechselten Personen nachhaltig gefährdet. Die Coronapandemie hat die Integrationsbemühungen Geflüchteter stark zurückgeworfen, die geplante Verkürzung dieses Zeitraums, stellt eine zusätzliche Verschärfung dieser Problematik dar und wird der Bedarfslage dieser Menschen schlicht nicht gerecht.
Die MSA II hat die sozialräumliche Integration Geflüchteter in den letzten Jahren maßgeblich mitgetragen und sich als flexibles, wirksames Instrument und damit als unabdingbar erwiesen. Die Fortführung der MSA II im bisherigen Umfang ist aus LIGA-Sicht dringend angezeigt und sollte langfristig, mindestens jedoch bis Ende 2024 sichergestellt werden.
Integrationspauschale und Regionalbudgets ersatzlos gestrichen
Das zweite zentrale Instrument in der Förderung der Integration war bislang die sogenannte Integrationspauschale. Diese diente bislang der Finanzierung kommunaler Integrationsangebote sowie Projekte und ermöglichte es kommunal-spezifische Bedarfe zu adressieren und Maßnahmen realisieren, die nicht durch die Migrationssozialarbeit umgesetzt werden konnten.
Im Haushalt 2021 sind knapp über 9,5 Mio. € für die Integrationspauschale eingestellt, diese werden im Haushalt 2022 komplett gestrichen. Auch hierdurch wird den Landkreisen, kreisfreien Städten und letztlich den Kommunen ein flexibles und wirkungsvolles Instrument der Integrationsarbeit genommen.
Zusätzlich zu diesen enormen Kürzungen im Haushalt des MSGIV, werden auch die Mittel des „Bündnis für Brandenburg“ gekürzt, welches den Kommunen bislang Mittel aus den sogenannten „Regionalbudgets“ zu Verfügung stellen konnten, auch dieser Posten in Höhe von 360.000 Euro wird im Haushalt 2022 ersatzlos gestrichen.
Durch die Streichung der Integrationspauschale und der Regionalbudgets wiegt die Kürzung der MSA II-Mittel umso schwerer, deren Verlust auf keinerlei Weise mehr kompensiert werden kann.
Hoher gesellschaftlicher Schaden
Die Landesregierung hat sich in ihrem Haushalt für 2022 darauf verständigt, die beiden zentralen landesfinanzierten Instrumente zur Integrationsförderung radikal von insgesamt 24 Mio. Euro auf dann nur noch 9 Mio. Euro zu kürzen. Damit entscheidet sich die Regierung zu einem bewussten Verzicht auf die in den letzten Jahren langsam aber stetig etablierten Strukturen sowie auf in diesen Strukturen aufgebautes Wissen und Erfahrungen.
Wenngleich die Coronapandemie erhebliche Kosten für den Landeshaushalt bedeutete, müssen durch die Kürzungen im sozialen Bereich kurz-, mittel- und langfristige Folgekosten erwartet werden, die nicht beziffert werden können. Auf den drohenden gesellschaftlichen Schaden in Folge einer deutlich erschwerten oder gar gescheiterten Integration dieser Menschen wurde durch die LIGA ebenso vehement hingewiesen, wie auf den drohenden Verlust des Fachpersonals in diesem Bereich. Die Entscheidung der Landesregierung ist für die LIGA deshalb schwer zu akzeptieren.
Eindringliche Bitte an die Abgeordneten des Landtags Brandenburg: Setzen Sie sich für die
Sicherung der Haushaltsmittel ein!
Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege weist mit Nachdruck auf die steigenden Asylantragszahlen im Jahr 2021 hin. Verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2020 insgesamt circa 122.000 Asylanträge, waren es in diesem Jahr bereits zwischen Januar und August über 111.000 Asylanträge. Ein Rückbau im Bereich Integration darf es zu diesem Zeitpunkt unter keinem Umständen geben. Vor diesem Hintergrund nimmt die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege die geplante Erhöhung der Haushaltsmittel für Abschiebungen um fast 50 % mit Sorge zur Kenntnis. Wir erhoffen und erwarten ein klares Zeichen der Landespolitik für die Integration geflüchteter Menschen.
Hintergrund
Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege haben sich in Brandenburg zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, um sich gemeinsam als LIGA für das Wohlergehen vor allem benachteiligter Menschen einzusetzen. Sie heißen Spitzenverbände, weil sie an der Spitze vieler frei-gemeinnütziger Träger stehen, wie Einrichtungen, Vereine, Gesellschaften und Initiativen. „Frei“ bedeutet, dass sie nicht staatlich organisiert sind. Weitere Informationen auf liga-brandenburg.de.